Eltern haften für ihre Kinder – oder doch nicht?

Der minderjährige Nachwuchs verursacht einen Schaden. Die Frage der Eltern, ob und unter welchen Voraussetzungen das Kind oder sogar die Eltern hierfür haften, ist ein immer wieder diskutiertes Thema. Kinder und Jugendliche haften nur unter bestimmten Voraussetzungen für einen Schaden, den sie anderen zufügen: Bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres sind Kinder nicht deliktsfähig, d. h. sie können aufgrund eines Schadens, den sie verursacht haben, nicht in Haftung genommen werden. Ab Vollendung des 7. Lebensjahres bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sind Kinder/Jugendliche bedingt deliktsfähig. In diesem Alter sind Minderjährige für einen verursachten Schaden nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hatten. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Bezugnahme auf den konkreten Fall beantwortet werden. Bei Schäden im motorisierten/fließenden Straßenverkehr wurde die Altersgrenze durch die Schadensrechtsreform 2002 bis zum vollendeten 10. Lebensjahr angehoben. Man spricht hier von sogenannter „sektoraler Deliktsunfähigkeit“. Bei einem Unfall mit einem Kfz, Schienen- oder Schwebebahn sind Kinder erst nach Vollendung des zehnten Lebensjahres deliktsfähig. Der Gesetzgeber hat in diesem Bereich eine Vermutung der Deliktsunfähigkeit des Minderjährigen im Alter zwischen 7 und 10 Jahren aufgenommen (BGH NJW2009, 3231). Damit wollte man die Rechtsstellung von Kindern bei Unfällen im Straßenverkehr verbessern. Bei Unfällen ohne Beteiligung eines Kfz, einer Schienen- oder Schwebebahn bleibt es dagegen bei der Grundnorm (§ 828 Abs. 3 BGB), wonach Deliktsfähigkeit ab dem vollendeten siebten Lebensjahr vermutet wird.

Ein sehr verbreiteter Rechtsirrtum ist die pauschale Behauptung, dass Eltern für ihre Kinder haften. Richtig ist lediglich, dass Eltern für Schäden, die ihre Kinder verursacht haben, dann in Haftung genommen werden können, wenn sie ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt haben (§ 832 BGB). Sie müssen also selbst in ihrer Person eine gesetzlich vorgegebene Pflicht schuldhaft verletzt haben. Art und Umfang der Aufsichtspflicht wiederum richten sich ebenso nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Die konkrete Ausgestaltung der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Es kommt somit darauf an, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um eine Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Die Anforderungen an eine Aufsichtspflicht erhöhen sich entsprechend, wenn das Kind bereits in der Vergangenheit auffällig gewesen ist, einen vorsätzlichen Schadenverursachtoder sogar bereits eine Straftat begangen hat. Eltern haben ihre Kinder so zu betreuen, dass andere keinen Schaden nehmen. Dabei muss diese Aufsichtspflicht je nach Alter Eigenart und Charakter des Kindes keine „Rund-um-die-Uhr-Bewachung“ sein. Die Aufsichtspflicht kann auch zeitweise auf Dritte übertragen werden, z. B. vertraglich an einen Kindergarten. Wenn dabei etwas passiert, wäre die Einrichtung verantwortlich.

Das bekannte Schild an Baustellen „Eltern haften für Ihre Kinder“ ist insofern irreführend, da dies – wie gerade aufgezeigt – nur der Fall sein kann, wenn sie ihre eigene Aufsichtspflicht verletzt haben. Baustellen haben auf abenteuerlustige Kinder eine große Anziehungskraft und können daher durchaus – trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der Eltern – von Kindern betreten werden. Sofern dabei ein Unfall passiert/ Schaden eintritt wäre sicherlich auch (und vielleicht primär) zu überprüfen, ob der Baustellenbetreiber seiner Verkehrssicherungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist, um das Betreten durch Kinder zu verhindern. In jedem Fall ist es Eltern aus rechtlicher Sicht dringend zu raten, sich durch einen Haftpflichtversicherungsvertrag abzusichern. Hierbei sollte im Rahmen des Vertragsschlusses auch abgeklärt werden, dass die Kinder in den Vertrag mitaufgenommen werden. Auch bei Bestehen eines Haftpflichtversicherungsvertrages zahlt der Versicherer nicht immer.Wenn zum Beispiel ein nicht deliktsfähiges Kind (z. B. 6 Jahre) die Kraftfahrzeuge der Nachbarn zerkratzt und eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern nach den Umständen des Falles nicht in Betracht kommt,wird auch der Versicherer nicht zahlen, da unter Umständen kein haftungsrechtlich relevantes Verhalten vorliegt und der Versicherer nicht zahlenmuss.Da in einem solchen Fall der nachbarschaftliche Frieden auf dem Spiel steht, gibt es bei Haftpflichtversicherungeninaller Regel aucheinen zusätzlichen Versicherungsschutz für deliktsunfähige Personen. Auch hierauf sollte man bei derWahl des richtigen Versicherungsvertrages das Augenmerk richten.

Wie diese kurze Darstellung zeigt, ist bei einem Schaden der durch minderjährige Kinder oder Jugendliche verursacht wurde, rechtlicher Rat – sowohl für Geschädigte, aber auch für betroffenen Eltern – durch einen mit dem Schadensrecht vertrauten Rechtsanwalt durchaus sinnvoll.

Rechtsanwalt Carsten Jakob 
Fachanwalt für Verkehrsrecht 
Partner der Kanzlei Wellmann & Kollegen, Darmstadt

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