Neue Entscheidung des EuGH zu mehrfach befristeten Arbeitsverträgen

Damstädter Echo Spezial "Ihr Recht" vom 7. Februar 2012

Neue Entscheidung des EuGH zu mehrfach befristeten Arbeitsverträgen
Außendienstmitarbeiter sind besonders nah am Kunden

Bereits 11 Jahre lang war eine Justizangestellte für das Amtsgericht Köln aufgrund eines sogenannten Kettenvertrages tätig gewesen. Am Ende waren es bei ihr insgesamt bereits dreizehn befristete Arbeitsverträge in Folge. Im Dezember 2007 wollte das Amtsgericht schließlich überraschend den letzten befristeten Vertrag mit der Justizangestellten nicht mehr verlängern. Die Arbeitnehmerin war mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden und klagte vor den Arbeitsgerichten auf Festeinstellung.
Sie machte geltend, dass bei 13 Arbeitsverträgen und einer Beschäftigungszeit von 11 Jahren keine Rede mehr von einem „vorübergehenden Vertretungsbedarf“ sein könne. Das Bundesarbeitsgericht legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Angelegenheit zur Entscheidung vor. Das EU-Recht verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Missbrauch durch mehrfach befristete Arbeitsverträge zu vermeiden.
In einer vielbeachteten Entscheidung hat der EuGH in Luxemburg im Januar 2012 nun klargestellt, dass befristete Arbeitsverträge zwar weiterhin mehrfach verlängert werden dürfen, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt, wie z.B. die Vertretung unbefristet eingestellter Mitarbeiter während Schwangerschaft und Elternzeit. Ein Arbeitgeber könne durchaus gezwungen sein, auf befristete Vertretungen zurückzugreifen.
Auch müsse weiterhin nicht automatisch von Missbrauch ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber „wiederholt oder sogar dauerhaft“ auf befristete Vertretungen zurückgreift.
Dennoch kann sich das Urteil für deutsche Arbeitnehmer positiv auswirken. Der EuGH fordert nämlich, dass bei der Beurteilung der vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachgründe, welche die Zweckbefristung rechtfertigen sollen, alle Umstände eines jeden Einzelfalls „einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge“ zu prüfen sind. Diese Sichtweise ist ein Novum im Arbeitsrecht.
Für die deutschen Arbeitsgerichte, und auch für das Arbeitsgericht Darmstadt, könnte diese Aussage, wie auch das Bundesarbeitsgericht meint, möglicherweise weitreichende Folgen haben. Denn im Unterschied zu Befristungen ohne Sachgrund, die innerhalb von zwei Jahren maximal drei Mal verlängert werden dürfen, spielten Dauer und Anzahl der Kettenverträge bei sachlich gerechtfertigten Befristungen (Befristungen mit Sachgrund, z.B. Krankheitsvertretung) bisher überhaupt keine Rolle. Bislang wurde vor Gericht nur der allerletzte Vertrag geprüft, nie die ganze Kette. Lag hier ein Vertretungsbedarf vor, war die Befristung gerechtfertigt. Alles andere wurde ausgeblendet.
Arbeitnehmer sollten also in Zukunft noch hellhöriger werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die vom Arbeitgeber angegebenen Befristungsgründe nicht zutreffen, und offenbar nur vorgeschoben sind. Beispielsweise wenn sie zwar gemäß Arbeitsvertrag als Krankheitsvertretung eingestellt wurden, jedoch in der Praxis eine ganz andere Tätigkeit ausüben sollen als der erkrankte Mitarbeiter.
Ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Sinne nach der Entscheidung des EuGH nunmehr Arbeitsverhältnisse, die bereits mehrfach verlängert wurden.
Theoretisch kann jemand zwar immer noch 20 Jahre lang in einem Betrieb ohne unbefristeten Arbeitsvertrag als Schwangerschaftsvertretung tätig sein. Es kann sich jetzt aber verstärkt lohnen, die Aussichten einer Klage auf Festeinstellung anwaltlich überprüfen zu lassen.
Vielfach machen Arbeitgeber auch bei der richtigen Anwendung der Schriftform, welche für die Befristungsabrede gesetzlich vorgeschrieben ist, Fehler, welche dazu führen können, dass – vom Arbeitgeber ungewollt – ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als vereinbart gilt.
Beachten muss der Arbeitnehmer in allen Fällen unbedingt die Klagefrist, welche drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags ausläuft. Auch Arbeitgebern kann empfohlen werden, im Zweifel die Sachgründe für die Befristung von Arbeitsverhältnissen durch einen erfahrenen Rechtsanwalt überprüfen zu lassen.

Rechtsanwalt Christian Kuhn
Partner der Kanzlei Wellmann und Kollegen

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